Die Atmung hat für uns Menschen eine besondere Bedeutung, sie geschieht in der Regel autonom ohne unser aktives Zutun und sie ist für unsere Lebenserhaltung essenziell. Ein sehr faszinierender Vorgang, wenn man es einmal so betrachtet. In den östlichen Weisheitstraditionen wird die Atmung traditionell als Brücke zwischen dem Körperlichen und dem Geistlichen gesehen. So hat das Atmen in der Yoga-Praxis einen hohen Stellenwert und gezieltes Atmen wird für Energiefluss, Heilung und generelle Verbesserung der Gesundheit eingesetzt.
Wir können die mit dem Atmen verbundenen physiologischen und psychologischen Effekte durch gezielten Einsatz verschiedener Atemtechniken erzeugen und können dies z.B. für die Leistungssteigerung im Kraft-, Fitness- und Ausdauerbereich nutzen oder auf der anderen Seite für die Entspannung und Stressreduzierung einsetzen.
Dazu sind zwei grundlegende Dinge wichtig, die auf der physiologischen Ebene passieren. Das Einatmen aktiviert für Erregung zuständigen Teil unseres vegetativen Nervensystems, den Sympathikus wohingegen das Ausatmen tendenziell den Gegenspieler, den Parasympathikus aktiviert. Die einfache Regel dabei ist, wenn wir das Einatmen forcieren und schnell und viel einatmen (und natürlich auch wieder ausatmen), stellen wir unseren Körper auf Kampf oder Flucht ein und die Leistungsbereitschaft wird gesteigert. Wenn wir dagegen tief und lang ausatmen, entspannen und beruhigen wir uns.
Diese Vorgänge laufen in der Regel autonom ab, d.h. wenn wir einer (vermeintlichen) Bedrohung gegenüber stehen, erhöht sich automatisch unsere Atem- und damit auch die Herzfrequenz und wenn wir uns sicher fühlen und uns z.B. zur Ruhe legen, wird auch der Atem automatisch ruhiger. Die Vorgänge, die im Körper dabei ablaufen sind die gleichen, egal ob durch die Interpretation und Reaktion auf externe Einflüsse ausgelöst oder bewusst durch Atemtechniken herbeigeführt.
„Breathwork“ ist ein etwas unscharfer Begriff, der häufig verwendet wird. Es gibt eine Vielzahl von Atemtechniken, von der Wim-Hof-Methode über die verschiedenen Übungen des Pranayama aus dem Yoga, Box-Breathing oder holotropische Atemarbeit. Ich möchte hier zwei grundlegende Techniken anführen – wie man sie auch immer bezeichnen möchte – eine zur Aktivierung und eine andere zur Beruhigung.
- Tummo-Breathing: Bei dieser auch als Wim-Hof-Atmung bekannten Übung wird durch wiederholtes, kräftiges ein- und ausatmen eine Hyperventilation erzeugt, wodurch sich Herzfrequenz, Sauerstoffsättigung im Blut und Körpertemperatur erhöht und damit der Organismus aktiviert und in eine erhöhte Leistungsbereitschaft versetzt wird. In der Regel wird etwa 30 mal auf diese Weise ein und ausgeatmet, nach der letzten Ausatmung pausiert man mit dem Atmen, solange man es kann. Dies wiederholt man insgesamt 3 mal und man wird wahrscheinlich feststellen, dass man nach dem 3. Zyklus deutlich länger ohne erneutes Einatmen aushalten kann als beim ersten Mal. Es empfiehlt sich übrigens, diese Übung im Liegen durchzuführen, weil es einem dabei leicht schwindelig werden kann.
- Ocean-Breating: Ich liebe den Ozean, daher spricht mich die Visualisierung in dieser Übung sehr an. Man stellt sich bei der Einatmung im Geist vor, wie sich eine hohe Welle recht zügig aufbaut, dann atmet man lange aus und visualisiert dabei, wie die Welle bricht und sich über den Strand ausbreitet. Danach folgt eine kleine Pause, bis sich die nächste Welle aufbaut. Es wird hierbei tief durch die Nase in den Bauch eingeatmet, und dann direkt ohne Pause durch die Nase wieder ausgeatmet, wobei der Vorgang des Ausatmens länger ist als das Einatmen. Durch das längere Ausatmen wird der Parasympathikus aktiviert, die Herzfrequenz reduziert sich und man entspannt sich.
Als weiteren wichtigen Aspekt des Atmens will ich nicht versäumen, den Bezug zur Meditation herzustellen. Der Atem eignet sich hervorragend als Meditationsobjekt, wenn man Konzentration üben möchte. Da der Atem nicht konzeptionell ist, sondern unmittelbar durch uns erfahren wird, können wir ihn sehr gut als Anker für Meditation benutzen. Wenn wir bewusst atmen, unseren Atem betrachten (und nicht bewerten) und uns dabei nicht von Gedanken ablenken lassen, die entweder in die Vergangenheit oder in die Zukunft weisen, können wir eine Präsenz und Konzentration entwickeln, die sowohl für die konstruktive Interaktion mit unserer Umgebung wichtig ist als auch Grundvoraussetzung für die innere Einkehr, die Reflexion und Kontemplation, die heute häufig in unserem Alltag viel zu kurz kommt.